Neues Urheberrecht – Licht und Schatten

Mit dem „Gesetz zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft“ (1.9.2017) sind seit dem 1. März 2018 Änderungen im Urheberrecht wirksam, die teils neue Rechtsgrundlagen auch für unsere bibliothekarischen Dienstleistungen und die Informationsversorgung überhaupt gebracht haben. Welche Änderungen wirken sich nach den Erfahrungen der ersten drei Monate nun wie auf die Praxis aus? Ein Blick auf elektronische Semesterapparate, Fernleihe, Privatkopie etc.

Elektronische Semesterapparate

Elektronische Semesterapparate konnten bis zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes auf Grundlage des jetzt gestrichenen Paragraphen 52a eingerichtet und zur Verfügung gestellt werden. Seit dem 1.3. sind die Regelungen dazu im neuen Paragraphen 60a festgehalten. Nach wie vor dürfen die in einen elektronischen Semesterapparat eingestellten urheberrechtlich geschützten Werkteile oder Werke nur für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer konkreten Veranstaltung zugänglich sein. Eine kleine Erweiterung dieses Personenkreises stellt die Aufnahme von Prüfern an derselben Insitution sowie sonstigen Personen dar, wenn Unterrichts- oder Lernergebnisse präsentiert werden sollen. In der Praxis bedeutet dies, dass elektronische Semesterapparate weiter in Stud.IP-Veranstaltungen, die mit einem Passwortschutz versehen sind, eingerichtet werden können. Eine ebenfalls kleinere Änderung gab es hinsichtlich des Anteils eines urheberrechtlich geschützten Werkes, der über einen elektronischen Semesterapparat zugänglich gemacht werden darf: Waren es bis zum 1.3. 12 Prozent, so sind nun im Gesetz 15 Prozent festgeschrieben. Abbildungen aus einem Werk, einzelne Beiträge aus Fach- und wissenschaftlichen Zeitschriften, Werke geringen Umfangs (bis 25 Seiten) und vergriffene Werke dürfen ganz genutzt werden. Mit Streichung des alten Paragraphen ist auch eine Regelung außer Kraft, die es unter bestimmten Voraussetzungen verbot, Scans aus Büchern oder Zeitschriften des eigenen Bestands für elektronische Semesterapparate anzufertigen und einzustellen: Wurden der gewünschte Aufsatz oder das Buchkapitel vom Verlag oder einem entsprechenden Anbieter auch kostenpflichtig elektronisch angeboten, hätte dieser elektronischen Version der Vorzug gegeben und für deren Nutzung gezahlt werden müssen. Der neue Paragraph 60a kennt diese Regelung nicht mehr, es dürfen ungeachtet konkurrierender kommerzieller Angebote Scans aus vorhandenen Publikationen im vorgegebenen Umfang angefertigt und in elektronische Semesterapparate eingestellt werden.

Eine ärgerliche Einschränkung ist in der im Gesetz verwendeten Formulierung „einzelne Beiträge aus derselben Fachzeitschrift oder wissenschaftlichen Zeitschrift“ (§ 60a Abs. 2) verborgen: Zeitungsartikel und Beiträge in sogenannten Kiosk- oder Publikumszeitschriften sind damit für die Aufnahme in einen elektronischen Semesterapparat nicht nutzbar. An der UB Osnabrück wird dies zumindest bei Zeitungen in vielen Fällen nicht zum Tragen kommen, da eine Vielzahl von Zeitungen mit ihren Archiven durch entsprechende Lizenzen elektronisch verfügbar ist und damit selbstverständlich auch durch Verlinkungen von elektronischen Semesterapparaten aus genutzt werden kann, aber bei kleineren Zeitungen, die noch nicht über ausgebaute Online-Archive verfügen, und bei sehr vielen nichtwissenschaftlichen Zeitschriften, die nur gedruckt vorgehalten werden, wird die Nutzung etwa als Quelle etc. in Lehrveranstaltungen erheblich erschwert. Da analoge Regelungen für die Einrichtung von elektronischen Apparaten auch für Forschergruppen gelten (§ 60c UrhG), bedeutet dies auch eine Behinderung der Forschung.

Fernleihe

Eine geänderte Rechtsgrundlage gibt es mit Paragraph 60e Abs. 5 auch für die Fernleihe (bis zum 1.3. § 53a [jetzt gestrichen]). Fernleihbestellungen müssen nicht-kommerziellen Zwecken dienen, was in der Praxis durch in den jeweiligen Online-Formularen eingerichtete Checkboxen, mit deren „Anhaken“ die Bestellerinnen und Besteller diesen nicht-kommerziellen Zweck bestätigen, geprüft wird. Per Fernleihe geliefert werden dürfen – neben selbstverständlich wie bisher ganzen Bänden – Vervielfältigungen (vulgo Kopien oder Scans) von bis zu 10 Prozent eines veröffentlichten Werkes, was gegebnüber der früheren Regelung, die 15 Prozent erlaubte, eine Verschlechterung darstellt. In vielen Fällen wird dies durch die Bestellung des ganzen Bandes statt bspw. nur eines Kapitels daraus, dessen Umfang über den zulässigen 10 Prozent läge, umgangen werden können; bei Werken, die die gebende Bibliothek nicht für die Fernleihe zur Verfügung stellt, bleibt allerdings ggf. nur die Aufteilung des gewünschten Buchauszugs auf mehrere Fernleihbestellungen, für die dann jeweils die entsprechende Gebühr zu entríchten ist.

Wie schon bei den elektronischen Semesterapparaten ist auch bei der Fernleihe im weiteren nur die Rede von einzelnen Beiträgen, „die in Fachzeitschriften oder wissenschaftlichen Zeitschriften erschienen sind“, die an Nutzer übermittelt werden dürfen. Zeitungsartikel und Beiträge aus nichtwissenschaftlichen Zeitschriften sind also im Prinzip nicht mehr über die Fernleihe bestellbar, es sei denn, es handelt sich um Artikel, deren Verfasser seit 70 oder mehr Jahren tot sind, wodurch die Urheberrechte erloschen sind. Für Forschung und wissenschaftliche Arbeit bedeutet dies eine noch größere Einschränkung als sie die Nichtverwendbarkeit von Artikeldigitalisaten für elektronische Semester- und Forschungsapparate darstellt. Ein Ausweg, Zeitungsartikel trotzdem über die Fernleihe bereitstellen zu können, besteht in der Lieferung von Mikrofilmen oder -fiches, womit die ganze verfilmte Zeitung zur Verfügung steht. Unsere Fernleihstelle hat bereits eine Zunahme der Lieferung von Filmen festgestellt; in der Mediothek der Bibliothek Alte Münze stehen zu deren Öffnungszeiten entsprechende Lesegräte und Readerprinter bereit, mit denen Kopien und Scans benötigter Seiten von Mikroformen hergestellt werden können. Die Gesetzeslage bewirkt also eine unfreiwillige Wende wieder hin zu analogen Medien, was um so ärgerlicher ist, als eine andere Regelung gefallen ist, die bisher in anderer Hinsicht zu analoger Nutzung zwang: Die Lieferung eines Aufsatzes oder Buchauszugs direkt an die Besteller als Datei (bisher: nur Kopien oder Ausdrucke) ist nicht länger verboten, und die Bibliotheksverbünde sind in Vorbereitungen begriffen, diese schnelle und ökonomischere Lieferform (wieder) einzuführen.

Vervielfältigungen zum privaten Gebrauch

Unverändert zulässig sind weiterhin Vervielfältigungen zum privaten Gebrauch (§ 53 Abs. 1 UrhG), so dass zumindest auch aus vorliegenden Zeitungen, Zeitschriften etc. selbst kopiert, gescannt oder fotografiert werden darf. Im Gegensatz dazu dürfen merkwürdigerweise nach neuer Gesetzeslage für die eigene wissenschaftliche Forschung nur bis zu 75 Prozent eines Werkes vervielfältigt werden (§ 60c Abs. 2 UrhG).

Per Gesetz ausgeschlossen ist schließlich die Einzelmeldepflicht zur Vergütung der Werknutzungen, die im letzten Jahr beinahe die Einrichtung von elektronischen Semesterapparaten unmöglich gemacht hätte. Den Rechteinhabern stehen zwar Vergütungen für die Nutzung ihrer Werke zu, festgelegt ist jedoch explizit, dass dies durch Pauschalen oder durch Ermittlungen aufgrund von repräsentativen Stichproben geschieht. Wie bisher können die Ansprüche nur über Verwertungsgesellschaften geltend gemacht werden.

Die Gesetzesänderungen, die in einigen Punkten durchaus mehr Klarheit bringen, sollen nach vier Jahren evaluiert werden und sind daher zunächst bis Ende Februar 2023 in Kraft. Es besteht somit die Hoffnung, dass die den „Erfordernissen der Wissensgesellschaft“ weniger entsprechenden Regelungen einer Revision und Anpassung unterzogen werden.

Bis es soweit ist, stehen wir für Fragen auch zu urheberrechtlichen Aspekten unserer Dienstleistungen und der Informationsversorgung gerne zur Verfügung, weisen jedoch ausdrücklich darauf hin, dass wir keine rechtsverbindlichen Auskünfte erteilen können.

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